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Prüfungen der Eidgenössischen Finanzkontrolle – Nachhaltigkeit ist kein Trendthema

27.05.2024

Kaum ein Wort wird derzeit so gerne und inflationär verwendet wie der Begriff der «Nachhaltigkeit». Es scheint das Zauberwort für jeden Lebensbereich zu sein – von der Ernährung über den Tourismus bis zur Wirtschaft, von der Kleidung über die Landwirtschaft bis zu Geldanlagen. Die Eidgenössische Finanzkontrolle schreibt sich auf die Fahne, aktuelle Entwicklungen frühzeitig mit ihren Prüfungen zu adressieren, um so einen Wertbeitrag für Verwaltung, Politik und Bevölkerung zu erzielen. Sie darf aber nicht blind jedem Trend hinterherrennen. Wie gut gelingt ihr das beim Thema „Nachhaltigkeit“?

Dem Begriff der «Nachhaltigkeit» auf der Spur

    Die Antwort auf die obige Frage ist: Besser als man denkt! «Googelt» man bei den publizierten Berichten der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), erscheint eine Vielzahl an Treffern. So hat die EFK z. B. das Ressourcenprogramm und die Ressourceneffizienzbeiträge für eine nachhaltigere Landwirtschaft beim Bundesamt für Landwirtschaft, die Nachhaltigkeit von Projekten der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Steuererleichterungen im Rahmen der Regionalpolitik beim Staatssekretariat für Wirtschaft geprüft.

    Bei den drei Beispielen ist der Bezug zur Nachhaltigkeit offensichtlich. Oder genauer gesagt: Bezug besteht zu einem ganz konkreten Aspekt der Nachhaltigkeit. Denn hinter diesem Begriff, den man schnell mal in den Mund nimmt, steckt eine Komplexität und Themenvielfalt, die schlichtweg nicht in einer generellen Nachhaltigkeitsprüfung abgedeckt werden kann. Es braucht also eine Definition und Systematik, mit der man das Dickicht der Nachhaltigkeitsaspekte durchbrechen kann. Ein hilfreicher Ansatz findet sich in der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) vom 23. Juni 2021.[1] Der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, hat in der SNE 2030 drei Schwerpunktthemen festgelegt, in denen für die Umsetzung der Agenda 2030 auf Bundesebene ein besonderer Handlungs- und Abstimmungsbedarf zwischen den Politikbereichen besteht:

    1. Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion.
    2. Klima, Energie und Biodiversität.
    3. Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt.

    Daneben benennt sie auch die Treiber für eine nachhaltige Entwicklung: Beitrag der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, die Nachhaltigkeit im Finanzmarkt, sowie Bildung, Forschung und Innovation. Zu jedem dieser Themen gibt es weitere Untergliederungen. Zahlreiche bestehende Strategien, Legislaturziele, Aktionspläne, Finanzierungsbotschaften und Maßnahmen in allen Politikbereichen sollen einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 und der SNE 2030 leisten. Man sieht schnell: Die Themenbreite und -tiefe sind überwältigend. Wie «angelt man jetzt die richtigen Fische» für eine Prüfung?

    Ein konsequent risikoorientierter Ansatz als Lösung

    Bereits 2020 hat sich die EFK Gedanken gemacht, welche Grundhaltung sie zu Prüfungen in diesem Bereich einnehmen und welchen Ansatz sie verfolgen will. Schließlich geht es auch um viel Geld: Viele der Maßnahmen haben direkten Einfluss auf den Finanzhaushalt und auf die Verwendung von Steuergeldern. Die EFK kam damals zum Ergebnis, dass sie bei ihrem «normalen» Vorgehen bleiben wird: Sie bestimmt ihre Prüfungsthemen risikoorientiert. Kurz: Sie prüft, wo sie den Eindruck erhält, dass Ordnungsmäßigkeit, Rechtmäßigkeit, wirtschaftliche Aufgabenerfüllung und nicht zuletzt auch Wirksamkeit der Aufgabenerfüllung im Aufsichtsbereich erheblich beeinträchtigt oder sogar gefährdet sein könnten.

    Betrachtet man nun die Vielzahl an Vorhaben, Instrumenten und Prozessen, die mit der Umsetzung der SNE 2030 verbunden sind, sollte das risikoorientierte Vorgehen der EFK eigentlich zwangsläufig dazu führen, dass Prüfungen zum Themenkomplex der Nachhaltigkeit im Jahresprogramm erscheinen. Aber tun sie das auch?

    Die EFK hat dies analysiert. Sie hat in den Jahresprogrammen 2021, 2022 und 2023 untersucht, welche Schwerpunktthemen bzw. Treiber für die nachhaltige Entwicklung mit den Prüfungen adressiert werden.  Das Ergebnis ist beeindruckend: Mehr als 40 Prüfungen erfüllen die Kriterien. Berücksichtigt man selektiv Prüfungen aus früheren Jahresprogrammen, die noch immer relevanten Bezug zu diesem Thema haben, sind es sogar 60. Das Ergebnis: Der risikoorientierte Ansatz funktioniert. Mit ihren Prüfungen adressiert die EFK zentrale Risiken, die sich aus dem Themenkomplex Nachhaltigkeit ergeben. Sie folgt also nicht «blind» einem Trend, sondern deckt seit Jahren relevante Aspekte mit den Prüfungen ab. So bekommt sie Trendthemen in den Fokus, wenn sie aus einer Risikowarte prüfenswert sind.

    Natürlich ist das Thema in der öffentlichen Verwaltung nicht nur auf Stufe des Bundes relevant. Zusammen mit den Leitenden der Finanzkontrollen der Schweizer Kantone und großer Städte widmet die EFK im Herbst 2024 diesem Thema eine zweitägige Konferenz. Mit Gästen aus Expertenorganisationen, Politik, Lehre und Verwaltung wird die EFK den Austausch und die Identifikation von sinnvollen Prüfansätzen ins Zentrum stellen.

    Nachhaltigkeit – ein Oktopus mit vielen Tentakeln

    Dennoch, die EFK ist sich der Herausforderungen und Grenzen bewusst: Viele der Einzelmaßnahmen, die zum Thema Nachhaltigkeit ergriffen werden, berücksichtigen per se kaum Zielkonflikte, unerwünschte Nebeneffekte, Interessenabwägungen oder die Einbettung in einen breiteren Kontext. Die Prüfungen der EFK können diese Mängel nicht alle kompensieren. Sie ist auf eine «saubere» Abgrenzung ihrer Prüfungen angewiesen und hütet sich aus gutem Grund davor, pauschale Schlussfolgerungen zu ziehen, wie z. B. diese: «Eine Maßnahme ist umgesetzt und somit ist das Ergebnis nachhaltig.» Solches Denken wäre irreführend.

    Ein einfaches Beispiel zur Illustration: Eine Maßnahme besteht darin, aus Nachhaltigkeitsgründen Büromaterial so lange wie möglich im Einsatz zu behalten. Die Vorteile liegen auf der Hand. Daraus jedoch schließen zu wollen, dass die Bewirtschaftung des Büromaterials nachhaltig wäre, würde zu kurz greifen. Wie verhält es sich tatsächlich mit der Nachhaltigkeit, wenn man die diversen Möbeltransporte, Lager- und Energiekosten, Arbeitsbedingungen beim externen Dienstleister etc. berücksichtigen würde? Er hat eben sehr viele Tentakel, der Oktopus namens «Nachhaltigkeit».


    [1] Vgl. Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030, https://www.are.admin.ch/are/de/home/nachhaltige-entwicklung/strategie/sne.html, (Stand 9.02.2024).